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140 Jahre Wirtschaften


Als vier- bis fünfjähriger sass ich vor dem Waschhaus stundenlang mit einem Menschen der um 1880 geboren war. In seiner Kindheit gab es kein Telefon, kein Auto und die Straße vor dem Waschhaus war nicht geteert. Das Feld wurde mit der Sense geerntet. Es waren schöne Sommertage.


Das Dorf in dem ich aufwuchs, war im Mittelalter mal bedeutend gewesen. Der Vater der Nachbarin, der da noch lebte, war quasi an den Sommertagen mit mir als kleinem Kind geparkt. Die Nachbarin hatte 1970 auch noch kein Telefon. Es ist im Nachhinein betrachtet schon eine Aufeinanderprallen von Welten gewesen. Mein Vater hatte zu dem Zeitpunkt eine Filmproduktionsfirma und war aus der Stadt in das Dorf gezogen. Wir spielten noch auf der Straße. Die Straße war 1970 bereits geteert, aber noch nicht durchgehend zum nächsten Dorf. Sodass nur der Dorfverkehr ab und zu auf der Straße vor dem Haus fuhr. Wenn wir spielten und doch mal ein Auto kam, erschallte der Ruf „Ein Auto!“ und die Kinder machten die Straße frei. Heutzutage ist daran gar nicht zu denken. Auf der Straße zu spielen ist unmöglich geworden aber um 1970 rum war dem noch so. Es war möglich.


Das Waschhaus stand dicht an der Straße und wenn wir dort auf den Treppenstufen sassen, befanden sich die Füsse bereits auf der Straße. Heute wird der Weltuntergang herbeigeredet, wenn die KFZ-Zulassungsordnung fossile Verbrennermotoren nicht mehr auf die Straße lassen würde. 1880 gab es diese Drecksschleudern nicht und die Welt funktionierte auch ohne diese. Das Leben vor 140 Jahre war ein gänzlich anderes. Wenn die Tochter jenes alten Menschen Wäsche wusch, dann heizte sie das Waschhaus mit Holzscheiten vor. Wäsche waschen war ein Knochenjob.
Auf der anderen Seite war es auch ein ruhiges Leben, zwar wurde ständig etwas getan, aber irgendwie in einer Seelenruhe. Der Opa und das Kind wurden vor dem Waschhaus geparkt und ihr Bruder hackte Holz. Sicherlich war der Tag von morgends bis abends irgendwie arbeitssam, aber diese Arbeit war nicht die getacktete Arbeit am Fliessband. Wenn geratscht wurde, dann wurde eben geratscht um dann wieder weiter zu machen. Und wenn der fünfjährige das gehackte Holz stapeln wollte, dann wurde mir erklärt, dass der Scheit so zu legen ist und dann der andere Scheit so, damit es stabil ist. Wahrscheinlich könnte ich heute noch Brennholz stapeln. Ich glaube, diesen Menschen war es egal, dass ich vier oder fünf war. Wenn das Kind einfach bei der Arbeit dabei war, dann wurde auch nebenbei erklärt, dass beim Dengeln das Metall nicht zu ausgezogen werden darf. Oder ungefragt dem Kind gesagt: „Schau dass beim Sensen die Spitze immer nach oben zeigt“. Die Wissensweitergabe war mündlich ständig präsent und erfolgte so häufig, dass ich kein Problem später in meinem Leben hatte mit einer Sense umzugehen. Aber sowas braucht heute keiner mehr.


Heutzutage muss man mit dem Auto schnell wohinfahren um im Büro Formulare auszufüllen und sich unheimlich wichtig in seinem Job vor zu kommen. Am Smartphone kleben um nur keine Nachricht zu verpassen. Hauptsache viel Energie verbrauchen und fossilen Dreck in die Luft blasen. Die Kinder müssen von der Straße in die Vollbetreuung der Kita gesperrt werden, damit sie nicht mitbekommen welchen Unsinn ihre Eltern so treiben. Aktienhandel oder HartzIV-Sachbearbeiter oder sonst irgendeinen Schmarrn. Vielleicht Produkte aus China besorgen und hier verkaufen. Das selbstverständlich in einer ständig Gehetztheit und die Arbeitspausen sind getaktet. Das Projekt muss mit Deadlines fertig gestellt sein und selbst wenn so ein Schrott wie LucaApp dabei raus kommt, dann wird die Wichtigkeit betont und verteidigt.
Nun 1880 lebten die Menschen auch ohne diese Gehetztheit zumindest noch auf dem Dorf. In der Stadt war das anders, dort standen schon die Fließbänder der Industrieproduktion. Aber diese Fließbänder sind bis in das Dorf vorgedrungen. Statt dem Dorfladen gibt es jetzt den rationalisierten Einzelhandel der sich im Dorf angeblich nicht mehr rechnet. Als fährt der Dörfler in den Supermarkt, weil es vor Ort keine Einkaufsmöglichkeit mehr gibt. Der Metzger und Schlachter schlachtet nicht mehr selbst und kauft seine Schweinehälften irgendwo aus Europa. Während der Schweinebauer seine Schweine irgendwo nach Europa verkauft. Beide können nicht mehr richtig davon leben. Während Aldi, Lidl und Co dann mit den Handelsgewinnen das Geld einschieben und den Preis diktieren, nachdem Lastwagen die Lebensmittel halb oder ganz durch Europa gekarrt haben.


Das nennt sich dann Wirtschaft. Auf der Strecke bleiben gehetzte Menschen die Transportformulare ausfüllen und sich unheimlich wichtig vorkommen. Und wenn die fossilen Drecksschleudern verboten werden sollen, den Weltuntergang herbeifantasieren, derweil ist es umgekehrt. Wenn wir diese Form des Wirtschaftens aufrecht erhalten, dann hat sich der kochende Affe ziemlich schnell als Eintagsfliege der Evolution selbst ausgelöscht. Die Manager kommen sich wichtig vor, sind aber dabei nur Weltzerstörer.